Das interessiert wieder (k)ein Schwein!

Das ist mir Wurst!

Vor einiger Zeit kommentierte ich einen Facebookpost einer Tierrechtsorganisation. Der Post handelte davon, dass kommende Generationen eines Tages fassungslos vor Entsetzen die traurige Wahrheit entdecken werden, dass ihre eigenen Vorfahren vor gar nicht allzu langer Zeit tatsächlich noch Tiere ausgebeutet und gegessen haben. Ich kommentierte sinngemäß, dass wir alle gerne schon jetzt beginnen dürfen, uns über dieses Verhalten zu wundern. Schließlich seien die Perversion, das Ausmaß und das Unrecht unseres Tuns bereits heute offensichtlich. Ein Leser entgegnete mir postwendend: „Das ist mir Wurst. Ich esse Tiere, so wie es meine Vorfahren vor tausenden von Jahren auch gemacht haben und empfinde nichts dabei. Warum auch?“

Als ich das las, wurde mir schlagartig klar, wie erschreckend treffend die Aussage ‚Mir Wurst‘ die höchstmögliche Ausprägung individueller Gleichgültigkeit beschreibt. Zwei Silben, um pointiert auszudrücken: „Mir sind die Tiere völlig egal. Der Zustand dieses Planeten interessiert mich null. Die Zukunft und die Bedürfnisse kommender Generationen sind mir schnurze. Tierleid, Klimakatastrophe, Welthunger – not my business. Ich interessiere mich für mich. Ende der Durchsage!“ Effektiver lässt sich Sprache kaum benutzen. Was für eine ausdrucksstarke Metapher für die eigene emotionale Bankrotterklärung![1]Natürlich gebrauchen wir die Aussage ‚Mir Wurst‘ oftmals auch als Floskel bei völlig belanglosen Themen. Von einem emotionalen Offenbarungseid können wir nur dann sprechen, wenn die … Continue reading

Karnismus – die unsichtbare Ideologie

Eine Gesellschaft, die sich einerseits als zivilisiert beschreibt, andererseits millionenfach wehrlose Lebewesen ausbeutet und tötet, müsste ‚eigentlich‘ ein Problem mit dem Widerspruch zwischen eigenem Anspruch und gelebter Wirklichkeit haben. Hat sie aber offenbar nicht.
Die Psychologin Melanie Joy liefert uns ein fundiertes Erklärungsmodell, wie es Menschen fertig bringen, sich einerseits als moralisch handelnde Personen zu verstehen – und sich vielleicht sogar als Tierfreund*innen zu bezeichnen – und gleichzeitig ohne schlechtes Gewissen Tierquälerei in großem Stil zu unterstützen.[2]Melanie Joy: Warum wir Hunde lieben, Schweine essen und Kühe anziehen. compassion media. Wir sind dazu in der Lage, weil wir in einer karnistischen Gesellschaft aufwachsen.[3]„Karnismus ist das Glaubenssystem, das uns darauf konditioniert, bestimmte Tiere zu essen.“ Melanie Joy: Warum wir Hunde lieben, Schweine essen und Kühe anziehen. compassion media. Seite … Continue reading Noch bevor wir überhaupt sprechen können, werden wir bereits von unseren Eltern mit industriell hergestellter Fertignahrung gefüttert, die wie selbstverständlich auch pürierte Tierleichenteile enthält. Uns wird von Geburt an suggeriert, dass es absolut normal, natürlich und zwingend notwendig ist, Fleisch zu essen. Wir lernen früh, dass es einerseits sogenannte ‚Nutztiere‘ gibt, die man bedenkenlos einsperren, töten und essen darf, und andererseits Haustiere, die wir lieben, wie Familienangehörige behandeln und deshalb natürlich auch nicht essen.
Elterliche Erziehung, gesellschaftliche Indoktrination und sozialer Druck prägen uns so stark, dass die meisten Menschen ihr Verhältnis zu Tieren und die eigene Rolle bei ihrer systematischen Ausbeutung und Tötung lebenslang niemals hinterfragen.

Melanie Joy beschreibt eine ganze Reihe von Mechanismen, die dafür sorgen, dass selbst intelligente Menschen den vielleicht größten Widerspruch in ihrem eigenen Leben nicht mal ahnen, geschweige denn auflösen. Beispielsweise ist es wichtig, dass die Tierquälerei und das Gemetzel im Verborgenen geschehen, so dass wir die entsetzliche Wirklichkeit möglichst nicht sehen, hören, fühlen. Es ist auch wichtig, dass wir das lustvolle Ereignis ‚lecker essen‘ radikal von der grausigen Vorgeschichte dieses Essens entkoppeln. Wir bewerkstelligen das, indem wir den blutigen, mörderischen Teil der ‚Lebensmittelproduktion‘ einfach an andere delegieren. Wir bezahlen fremde Menschen, dass sie für uns das erledigen, was wir selbst verabscheuen.

Damit wir mit der von uns beauftragten Ausbeutung entspannt umgehen können, ist es wichtig, dass wir unser angeborenes Potenzial zu bedingungslosem Mitgefühl bestmöglich unterdrücken. Das gelingt uns, indem wir lernen, andere Lebewesen auszuschließen und sie als grundlegend verschieden von uns zu betrachten. Wir müssen die emotionale Bindung zerstören, die unser Herz natürlicher Weise zu unseren Opfern fühlt.[4]Vgl. hierzu: Dr. Will Tuttle. Ernährung und Bewusstsein. Crotona Verlag. Will Tuttle führt in seinem Werk aus, dass alle gewalttätige Ideologien (Rassismus, Sexismus, Homophobie, Speziesismus, … Continue reading Eine wichtige Rolle in diesem Prozess der Distanzierung spielt unsere Sprache.

Sprache erschafft Wirklichkeit

Sprache und unser Denken und Fühlen beeinflussen sich wechselseitig. Einerseits benutzen wir Worte um auszudrücken, was wir gerade denken und fühlen. Umgekehrt beeinflusst die Wahl unserer Worte aber auch wiederum unser Gedanken und Gefühle. Sprache erschafft Wirklichkeit. Es macht zum Beispiel einen großen Unterschied, ob wir den Müll, den wir produzieren, als Abfall oder als Wertstoff bezeichnen.

Wenn wir ‚unschuldig‘ über die Tiere reden wollen, deren Leben wir im Kindesalter auslöschen, ist es wichtig, dass wir uns soweit wie irgend möglich von unseren Opfern und ihren elementaren Interessen dissoziieren. Unsere Sprache unterstützt uns dabei, indem sie die Verankerung einer Reihe diskriminierender karnistischer Glaubensätze fördert:

  1. Tiere und Menschen sind sehr verschieden
  2. ‚Nutztiere‘ sind dumm, hässlich, faul und schmutzig
  3. Es ist die Bestimmung bestimmter Tiere, uns als Nahrung zu dienen
  4. Tierliche Lebensmittel sind Waren ohne moralischen Wert
  5. Die Art und Weise, wie wir die Tiere behandeln, ist anständig und angemessen

Damit wir Tierleichen essen können, darf nicht in unser Bewusstsein dringen, dass es sich bei dem, was auf unseren Tellern landet, oft um nahe Verwandte handelt. Beispielsweise um Säugetiere, die sehr ähnliche Bedürfnisse und Gefühle wie wir Menschen haben.[5]Charles Darwin formulierte bereits sehr klar: „Es gibt keinen fundamentalen Unterschied zwischen Mensch und Tier in ihren Fähigkeiten, Freude und Schmerz, Glück und Elend zu fühlen.“ Die Vorstellung der Verschiedenheit von Mensch und Tier unterstützen wir dadurch, dass wir für bestimmte identische intime Vorgänge einfach unterschiedliche Worte gebrauchen. Tiere essen nicht, sie fressen. Sie sind nicht schwanger, sie sind trächtig. Sie gebären nicht, sie werfen.

Bereits in der Kita, und natürlich auch in der Familie, lernen wir den Gebrauch beleidigender Kraftausdrücke. Wir schimpfen unsere Mitmenschen faule Sau, dämliche Ziege, blöde Gans, hässliche Ente, dummes Schaf und dusselige Kuh.[6]Dass wir überwiegend weibliche Schimpfwörter benutzen ist ein Hinweis, dass Karnismus nicht der einzige diskriminierende ‚Ismus‘ ist, der sich in unserer Gesellschaft beobachten lässt. Um andere abzuwerten und zu verhöhnen, verwenden wir, wohl nicht ganz zufällig, überwiegend Vergleiche mit Tieren, die wir auch essen. Positive, ermutigende Vergleiche hingegen beziehen sich meist auf Tiere, die nicht auf unserem Speiseplan stehen (flink wie ein Wiesel, schlau wie ein Fuchs, stark wie ein Bär). Niemand sagt aber: „Du schlaues Schwein“, obwohl das ein schönes und passendes Kompliment wäre. Schweine sind fast so intelligent wie Schimpansen, deutlich intelligenter als Hunde und allemal schlauer als der ’schlaue Fuchs‘. Wir nennen andere Menschen ‚Dreckschwein‘ und vermitteln die Vorstellung einer widerwärtigen, ungepflegten Person. Dabei sind Schweine sehr reinliche, freundliche und soziale Lebewesen. Dass sie tatsächlich im Dreck und oft in ihren eigenen Fäkalien vor sich hin vegetieren, hat ausschließlich damit zu tun, dass wir Menschen sie zu diesem unwürdigen Dasein verurteilen.

Jane at sunset. © Jo-Anne McArthur / We Animals
Jane at sunset.
© Jo-Anne McArthur / We Animals

Die Zuschreibung ‚menschlich ein Schwein‘ ist vielleicht eines der eindrucksvollsten Beispiele menschlicher Wirklichkeitskonstruktion. Wir verwenden diesen Vergleich um einen Mitmenschen als hinterhältig, korrupt, berechnend, skrupellos, zerstörerisch, gefühlskalt zu beschreiben. Alles menschliche Charaktereigenschaften, die im Tierreich wenig verbreitet sind und auf Schweine überhaupt nicht zutreffen. Wenn Tiere sich situativ berechnend verhalten, dann tun sie das meist, weil es für ihr Überleben notwendig ist.

Ein weiterer raffinierter Taschenspielertrick besteht darin, dass wir Tieren spezielle Bezeichnungen geben, die suggerieren, es sei nunmal ihre Bestimmung, von uns in einer bestimmten Weise ‚genutzt‘ zu werden. Wir sprechen einfach von Nutztieren, Schlachtvieh, Legehennen, Stopfgänsen, Mastschweinen, Milchkühen, Speisefischen und erfinden gruselige Begriffe wie Zweinutzungshuhn. Die Bezeichnungen haben mit dem Wesen der Tiere absolut nichts zu tun. Es sind menschliche Urteile. Todesurteile.[7]Die karnistische Indoktrination hat ganze Arbeit geleistet, wenn wir als Kinder lernen, dass wir Nutztiere essen dürfen, weil sie eigens dafür da sind, und als Erwachsene an der Ausbeutung dieser … Continue reading

Unsere Worte unterstützen auch einen wichtigen karnistischen Prozess, den Melanie Joy ‚Verdinglichung‘ nennt. Wir sprechen von Lebensmitteln, von Wurstwaren und Molkereiprodukten. Die einzigartigen Persönlichkeiten, deren Leben wir auslöschen, kommen uns zu keinem Zeitpunkt ins Bewusstsein. Wir verwandeln Lebewesen in Lebensmittel, indem wir Kälber, Rinder, Schweine, Hühner, sobald sie den Schlachthof verlassen, Wiener Schnitzel, Steak, Kotelett oder Nugget nennen.[8]Im angelsächsischen Sprachraum wird noch wesentlich sorgfältiger darauf geachtet, dass der Name der Tierart in den Bezeichnungen der ‚Fleischprodukte‘ nicht mehr vorkommt. Man spricht … Continue reading Aus jemand wird etwas.

Natürlich sind wir Menschen auch sehr bemüht um einen ‚anständigen‘ Umgang mit den Nutztieren, die sich so bereitwillig opfern, um uns als Nahrung zu dienen. Ehrensache. Ihr Leben, das in Wirklichkeit vom ersten bis zum letzten Tag ein demütigendes Warten auf die Vollstreckung ihres Todesurteils ist, beschreiben wir mit allerlei beschönigenden Worten. Statt von Verstümmelung reden wir von Schwänze kupieren und Schnabelpflege, Zwangsschwängerung nennen wir künstliche Besamung. Wenn wir die Tiere am Ende ihres kurzen Daseins grausam töten, indem wir sie wahlweise in Gaskammern treiben, ihnen einen Bolzenschuss verpassen oder sie ins Elektrobad schicken, um ihnen anschließend die Kehle aufzuschneiden, dann nennen wir das gerne ‚humane, stressfreie Tötung‘. Manche ‚Fleischerzeuger*innen‘ achten offenbar derart vorbildlich auf das ‚Tierwohl‘, dass sogar Tierschutzorganisationen regelrecht darum wetteifern, dies mit ‚Gut-Fleisch-Zertifikaten‘ bescheinigen zu dürfen. Die Tierschutzsiegel lassen die Verbraucher*innen (auch ein spannendes Wort!) wissen, dass sie dieses Produkt garantiert jederzeit mit gutem Gewissen kaufen können. Egal ob Massentierhaltung, die wir gerne ‚konventionelle‘ Tierhaltung nennen – um unaufgeregt die Normalität der lebensverachtenden Zustände zu betonen – oder gar ‚artgerechte‘ Haltung: Wir produzieren ‚glückliches Fleisch‘.

Wenn Sie zu den Menschen gehören, für die der Konsum tierlicher Produkte bislang das Normalste auf der Welt darstellt, dann bitte ich Sie, einmal innezuhalten. Lassen Sie sich ein auf die Vorstellung, dass Sie in Ihrem Leben möglicherweise regelmäßig Dinge tun, die in krassem Widerspruch zu dem stehen, wie Sie eigentlich denken und fühlen. Erkunden Sie neugierig und ergebnisoffen den Wahrheitsgehalt Ihrer Glaubenssätze in Sachen Tierkonsum. Schauen Sie hinter die Kulissen des ‚Produktionsprozesses‘ und erhellen Sie Ihren ‚blinden Fleck‘. Begegnen Sie mit offenem Herzen dem Leid, das Sie mit Ihren Konsumentscheidungen zwangsläufig verursachen. Prüfen Sie bitte, ob Sie das, was Sie dort zu sehen bekommen, weiterhin unterstützen möchten.[9]Die Tierrechtsorganisation Animal Equality hat ein sehr empfehlenswertes Video veröffentlicht, welches die Praktiken der Tierhaltung aus dem Blickwinkel eines Schweines zeigt. … Continue reading Ich verspreche Ihnen eine Reihe interessanter Erkenntnisse und berührender Erfahrungen.

Wir können gegenüber dem Offensichtlichen blind sein, und wir sind darüber hinaus blind für unsere Blindheit.

Daniel Kahneman, Psychologe und Wirtschafts-Nobelpreisträger
Armin

Quellen und Fußnoten

Quellen und Fußnoten
1 Natürlich gebrauchen wir die Aussage ‚Mir Wurst‘ oftmals auch als Floskel bei völlig belanglosen Themen. Von einem emotionalen Offenbarungseid können wir nur dann sprechen, wenn die Äußerung im Zusammenhang mit von Menschen verursachtem Leid erfolgt.
2 Melanie Joy: Warum wir Hunde lieben, Schweine essen und Kühe anziehen. compassion media.
3 „Karnismus ist das Glaubenssystem, das uns darauf konditioniert, bestimmte Tiere zu essen.“ Melanie Joy: Warum wir Hunde lieben, Schweine essen und Kühe anziehen. compassion media. Seite 32.
4 Vgl. hierzu: Dr. Will Tuttle. Ernährung und Bewusstsein. Crotona Verlag. Will Tuttle führt in seinem Werk aus, dass alle gewalttätige Ideologien (Rassismus, Sexismus, Homophobie, Speziesismus, …) und kriegerischen Handlungen letzlich immer voraussetzen, dass es ein ‚Wir‘ und die ‚Anderen‘ gibt, und dass wir die Guten und die ‚Anderen‘ die Bösen oder Minderwertigen sind.
5 Charles Darwin formulierte bereits sehr klar: „Es gibt keinen fundamentalen Unterschied zwischen Mensch und Tier in ihren Fähigkeiten, Freude und Schmerz, Glück und Elend zu fühlen.“
6 Dass wir überwiegend weibliche Schimpfwörter benutzen ist ein Hinweis, dass Karnismus nicht der einzige diskriminierende ‚Ismus‘ ist, der sich in unserer Gesellschaft beobachten lässt.
7 Die karnistische Indoktrination hat ganze Arbeit geleistet, wenn wir als Kinder lernen, dass wir Nutztiere essen dürfen, weil sie eigens dafür da sind, und als Erwachsene an der Ausbeutung dieser Tiere krampfhaft festhalten, weil wir die Tiere ja unbedingt essen müssen, da sie sonst aussterben.
8 Im angelsächsischen Sprachraum wird noch wesentlich sorgfältiger darauf geachtet, dass der Name der Tierart in den Bezeichnungen der ‚Fleischprodukte‘ nicht mehr vorkommt. Man spricht von veal, beef, pork, poultry, seafood. Auch wird der Begriff ‚flesh‘ vermieden und stattdessen stets von ‚meat‘ gesprochen.
9 Die Tierrechtsorganisation Animal Equality hat ein sehr empfehlenswertes Video veröffentlicht, welches die Praktiken der Tierhaltung aus dem Blickwinkel eines Schweines zeigt. https://www.youtube.com/watch?v=_pC0_mqmp6w