„Do you think, you’re better …?“

Wenn anderweitige Argumente fehlen, werden VeganerInnen oft kurzerhand auf emotionaler Ebene beschuldigt: „Du hältst dich wohl für etwas Besseres!“. Dieser Angriff auf die Persönlichkeit und den Charakter eines Menschen trifft diesen natürlich gerne direkt ins Herz. Vor allem, weil er sämtliche sachlichen Argumentationsgrundlagen komplett außen vor lässt. Hinzu kommt, dass sich darauf nicht einfach ohne weitere Erklärung antworten lässt, denn es trifft nur ein eindeutiges „Jein“ zu:

„Nein, ich halte mich nicht für einen besseren Menschen und ja, ich halte ein paar meiner Handlungen für besser oder aber auch schlechter, als die anderer Menschen.“

Die Frage, ob man sich als besseren Menschen sieht, stellt diesen Menschen zunächst undifferenziert in eine Ecke zu „schlechten Eigenschaften“, die keiner gerne hat. Sie zielt darauf ab, jemanden auf Gefühlsebene zu treffen, anstatt die Handlungen objektiv nach deren Auswirkungen zu beurteilen. Die Herausforderung, sich daraufhin entweder selbst abzuwerten oder über den/die andere/n zu erheben, erfordert in der Antwort eine Klarstellung, was uns Menschen zu dem macht, was wir sind und wie wir gesehen werden.

Nicht „wer“, sondern „was“ ist besser? Mitgefühl haben oder ohne Notwendigkeit töten?

Veganismus – sich nicht über andere stellen

VeganerInnen sind so unterschiedlich wie NichtveganerInnen. Man könnte auch sagen, es gibt unterschiedliche Frauen genauso wie unterschiedliche Männer, unterschiedliche EuropäerInnen ebenso wie verschiedenste AmerikanerInnen … eine Liste ohne Ende. Und überall, wo Menschen gruppiert werden, sind sicher welche dabei, die sich gerne überlegen fühlen (möchten) – intellektuell, moralisch oder aus finanziellen Gründen. Das Überlegenheitsgefühl passt nur schlicht und ergreifend nicht auf Menschen, die sich genau aus jenem ethischen Grund dazu entschieden haben, vegan zu leben: Weil sie sich gerade nicht für etwas Besseres oder Wertvolleres halten.

Bei dieser Art des Vorwurfs wird nun ausgerechnet eine moralische Handlung kritisiert, die selbst aus Sicht von NichtveganerInnen scheinbar durchaus als besser angesehen werden könnte. Dazu gleich mehr. Ganz übersehen wird nämlich, mit oder ohne Absicht, dass es beim Veganismus gar nicht darum geht, besser oder schlechter zu sein. Es geht dabei noch nicht einmal um die eigene Person und noch weniger um das eigene Wohlbefinden, ganz zu schweigen von der eigenen hierarchischen Erhebung über andere. Im Gegenteil- es geht um die Bedürfnisse und Rechte aller Mitlebewesen.

Es ist also irrelevant, höher, schneller, weiter, intelligenter, schöner, gesünder oder fitter zu sein. Entscheidend ist einzig, fair zu handeln. Da wir uns selbst unnötiges Leid und gewaltsamen Tod ersparen wollen, möchten VeganerInnen fairerweise, dass ihr Handeln ebensowenig unnötig Schmerzen und Tod anderer verursacht, die einfach glücklich leben könnten.

Die Ablenkung in andere Themenbereiche

VeganerInnen nehmen dabei sogar sehr oft in Kauf, wegen ihrer Lebensweise ausgelacht, teilweise sogar beschimpft oder als dumm dargestellt zu werden. Wären sie darauf aus, sich erhaben fühlen zu wollen, diese Reaktionen kämen dem eigenen Wohlbefinden nicht gerade zugute. Als Ablenkungsmaßnahme fungieren die emotionalen Übergriffe perfekt: Der/die Ausgelachte ärgert sich und kann nicht mit sachlichen Informationen argumentieren, weil das ehrliche Interesse des Gegenübers fehlt.

Wenn über das Thema Tiere essen diskutiert wird, lenken nichtvegane Menschen in den allermeisten Fällen kurzerhand auch auf andere Bereiche ab:

„Nur weil du … – Ich achte dafür auf …“.

Dieses Ablenken vom Thema führt dazu, nicht mehr über den eigentlichen Punkt diskutieren zu müssen, um den es ursprünglich ging. Die Reflexion der eigenen Verantwortung am Töten von Lebewesen wird damit ganz einfach umgangen.

Dabei wird ein/e VeganerIn nie bestreiten, dass es sicher besser ist,

  • Plastik zu vermeiden, als alles in Kunststoff eingeschweißt zu kaufen…
  • Second Hand zu tragen, als in Bangladesh produzieren und Menschen ausbeuten zu lassen…
  • mit dem Fahrrad zu fahren, als das Auto zu nehmen…
  • Entwicklungshilfe und ärztliche Versorgung zu leisten, als Waffen zu verkaufen…
  • Mitleid zu haben und leben zu lassen, als ohne Notwendigkeit zu töten…

Weder vegane noch nichtvegane Menschen würden sagen: „Du hältst dich wohl für etwas Besseres, weil du mit dem Fahrrad fährst!“ Meist wird sogar gelobt oder für unterstützenswert gehalten, wenn jemand beispielsweise darauf achtet, möglichst plastikfrei zu leben. Niemand wird dem-/derjenigen entgegnen, er/sie halte sich wohl deshalb für etwas Besseres. Und was wäre auch die Antwort auf diese Frage?

Genausowenig würde jemand einzelne Bereiche gegeneinander ausspielen. Wer würde schon argumentieren: „Ja, meine Kinder bekommen hin und wieder mal eine Ohrfeige, aber dafür helfe ich ehrenamtlich im Seniorenheim!“ oder „Ja, ich gehe schon recht verschwenderisch mit Lebensmitteln um, aber dafür trenne ich meinen Müll vorbildlich!“ Oder, um es mal zu überspitzen: „Ja, in meiner Fabrik lasse ich Kriegswaffen produzieren, aber ich nehme regelmäßig an Friedensmärschen teil, unterstütze den Erhalt des Hambacher Forsts und außerdem drücke ich ja nicht selbst den Abzug!“

Kein/e VeganerIn findet Plastikmüll klasse. Jede/r würde zustimmen, dass Vermeidung das bessere Verhalten wäre. Wieso können Menschen beim Thema Töten dann nicht zustimmen, dass Vermeidung die bessere Alternative ist …?

Die Auswirkungen unseres Handelns

Jeder nicht-vegane Mensch wird mit allen weiter oben aufgeführten Beispielen so einverstanden sein. Die einzige Ausnahme gilt dem Punkt, ohne Notwendigkeit zu töten. Da steht plötzlich zur Debatte, dass es keine alternative/bessere Wahl gibt.

Es folgt nicht selten ein Fehlschluss, den viele NichtveganerInnen begehen: Wer moralische Entscheidungen trifft, ist automatisch in allen Lebensbereichen unfehlbar. Eine unrealistische Utopie. Kein Mensch ist perfekt. Seine Handlungen können in verschiedenen Lebensbereichen ganz unterschiedlich aussehen. Durchaus können jedoch die Auswirkungen dieser Handlungen besser oder schlechter sein. Ob diese Klima, Umwelt oder Leben und Tod betreffen. Selbst pünktlich zu sein, wird in unserer Gesellschaft als besser oder erstrebenswerter erachtet, als regelmäßig zu spät kommen. Nun hat eine Verspätung bis auf die Wartenden keinen Effekt, der das Leben und die Unversehrtheit eines anderen aufs Spiel setzt, außer man ist vielleicht Notarzt. Und niemand wird bestreiten, dass es durchaus schlechter ist, seinen Müll im Wald zu entsorgen oder jemanden unnötig zu beklauen, als bei Verabredungen zu spät zu erscheinen. Wieso also machen nicht-vegane Menschen ausgerechnet bei einer Handlung, die das Leben von Abermilliarden Lebewesen ganz direkt unnötig und absichtlich gewaltsam beendet, am Liebsten einen Vergleich mit Plastik? Oder mit Mücken auf Windschutzscheiben, die sie noch nicht einmal als positive Vermeidungshandlung in die eigene Waagschale werfen könnten?

Unsere Handlungen haben Auswirkungen, die wir normalerweise ganz gut kennen. Manche davon sind offensichtlich, andere sind vielleicht nicht im selben Augenblick wahrnehmbar und lassen sich dadurch besser verdrängen. Je nachdem, ob die Auswirkungen Dritte positiv oder negativ betreffen, entsteht ein automatisches Wohl- oder Schuldgefühl, sobald dies jemand thematisiert. Ablenkung und Angriff sind oft rein nahe liegende Reaktionen, die übrig bleiben, um sich selbst nicht eingestehen zu müssen, besser handeln zu können, wenn man denn wollte.

Niemand muss perfekt sein, um zu erkennen, dass Lebewesen Gefühle haben.

Wir wissen was wir tun. Aber wollen wir?

In der Regel möchte niemand jemand anderem wissentlich schaden. Wenn wir Tiere essen, ist uns allerdings bewusst, dass das Tier dafür getötet wird. Wir schaden also wissentlich. Wir nehmen den Tod in Kauf, obwohl es unnötig ist. Es bringt uns in Verlegenheit, wenn Offensichtliches angesprochen wird, das wir ungern wahrhaben möchten. Wir wissen jedoch genau, dass es besser wäre, kein unnötiges Leid zu verursachen. Wir haben ein Verhalten gefunden, das das Gegenüber wortwörtlich besser macht und wieso sich das Gegenüber deshalb für etwas Besseres halten könnte. Die Frage bringt also VeganerInnen in eine Zwickmühle in Sachen Ergebnisse, die Menschen aus der Antwort ableiten (möchten). Antworten sie mit: „Nein, tu ich nicht“, dann stellt das augenscheinlich NichtveganerInnen eine Freikarte aus, ihre Handlungsweise hier gar nicht ändern zu müssen, obwohl sie mit der Frage absichtlich nicht nur den Bereich Tiere töten meinen. Antworten VeganerInnen mit „Ja, ich finde Veganismus besser als Tiere zu essen“, dann gelten sie als abgehoben und eingebildet, wieder, weil die Frage gar nicht auf das spezifische Verhalten abzielte, sondern auf die gesamte Person.

Menschen wissen im Grunde ihres Herzens genau, dass die Summe ihrer Handlungen sie zu dem Menschen macht, der sie sind.

Und dass bestimmte Handlungen negativere und tödlichere Auswirkungen haben, als andere.

Wenn du also einen Grund findest, der plausibel genug ist, warum sich Menschen moralisch besser fühlen könnten, wenn sie bestimmte Verhaltensweisen anwenden, dann ist das wahrscheinlich ein guter Grund, in Zukunft selbst danach zu handeln

Karin